Eine Frau, zwei Ausweise (3/6)

Zweite Julihälfte 2014

„Bitte beschreiben Sie uns das Wiedersehen mit der Frau aus dem Bus.“

Es scheint die Kommissare nicht zu interessieren, dass ich ihnen die Szene schon mehrmals geschildert habe, mir nicht sicher bin, ob es wirklich die Frau aus dem Bus war. Damals hatte ich kaum auf ihr Gesicht geachtet. Ich glaube nur, dass sie der Frau in den Ausweisen ähnelt. Aber was bedeutet das schon? Mit meiner Brille sehe ich auch so aus.

Es war eine kurze Begegnung. Ich wusch das Geschirr ab. Plötzlich stand sie in der Küchentür, in der Hand einen Umschlag.

„Jessica, hier sind Deine Reiseunterlagen. Die Flugtickets stecken im Umschlag, die Reservierungsbestätigung für das Hotel in Stuttgart und das Geld auch.“

Ich erfuhr, dass ich in der Business Class fliegen und vier Nächte in einem Fünf-Sterne-Hotel bleiben sollte. Am Montag, den 7. Juli, morgens hin, und am Freitag, den 11. Juli, abends zurück. In Stuttgart sollte ich mich oft in der Lobby des Hotels aufhalten. Nun müsse sie wieder gehen, sagte die Frau, sie habe noch einen Termin. Ach ja: Gut mache ich das, sehr gut. Sie bekomme alles mit, und sei außerordentlich zufrieden mit mir.

„Bis bald, Jessica.“ Sie lächelte, verließ die Wohnung.

Versuchen die Kommissare, mich bei einem Widerspruch zu ertappen? Glauben sie mir nicht? Oder meinen sie, durch ständiges Wiederholen der immergleichen Fakten fiele mir noch etwas ein? Ich weiß es nicht.

 

Donnerstag, 10. Juli 2014

In den Abendnachrichten berichten sie über eine Bombe, die in der Nähe meines Stuttgarter Hotels explodiert ist, in einem Restaurant. Entsetzlich. Drei Menschen sind bei dem Attentat verletzt worden, und es hätte noch viel schlimmer ausgehen können. Tagsüber habe ich davon nichts mitbekommen, ich saß meistens in der Lobby meines Hotels, habe gelesen. Die übrige Zeit habe ich in meinem Zimmer verbracht.

 

Mitte Juli 2014

Zurück aus Stuttgart, in der Musterwohnung, die in den vergangenen fünf Monaten zu meinem zweiten Heim geworden ist. Es riecht anders. Irgendjemand war hier. Oder bilde ich mir das nur ein? Ich denke nicht weiter darüber nach. Dafür habe ich das Luxushotel viel zu sehr genossen. Es war gar nicht so einfach, kurzfristig Urlaub zu bekommen. Vielleicht meinen die Kollegen jetzt, ich sei auf dem Absprung, bewerbe mich woanders. Das Merkwürdige ist: Je wichtiger mir meine Rolle in dem Spiel rund um die Wohnung wird, desto mehr nimmt die Bedeutung der Agentur in meinem Leben ab. Ich lächele mittlerweile über die von mir beschriebenen Produkte, spule meine Fragen ab, lauere nicht mehr auf Lob. Und ich erwarte mit Spannung meine Abende in der Wohnung.

 

Kurz darauf

Haben Sie schon mal Ihr Gesicht auf dem Titelblatt einer Zeitung gesehen? „Stuttgarter Bomben-Attentat: Wer kennt diese Frau?“ stand neben dem Foto. Normalerweise kaufe ich dieses Blatt nicht, aber als ich es beim Brötchenholen auf dem Tresen sah, habe ich es gegriffen. Die Bäckerin hat mich beim Bezahlen komisch angeguckt. Der Artikel endete mit einer Rufnummer für mögliche Hinweise aus der Bevölkerung. Noch am selben Tag hat die Polizei mich vorläufig festgenommen.

 

Teil 4 folgt am Sonntag, den 28. Juni…