Endlich Luft

Ich kann mich nicht auf die Gespräche bei Tisch konzentrieren. Wortketten gleiten an mir vorbei, ohne mein Trommelfell anzustupsen. Mein Körper sitzt noch zwischen dem Meilenkontoverwalter zu meiner Rechten und dem Golfspieler zur Linken, die wie alle anderen die Aussicht auf den Fluss loben, aber meine Gedanken sind längst durch die Räume des Fischrestaurants gehüpft zur Tür. Über die Schwelle, an die Elbe. Sie sind am Ufer entlang getänzelt bis zu jenem Strauch. „Endlich Luft“ weiterlesen

Minutenreise

Die himbeerfarbene Reisetasche habe ich im Internet ersteigert, sie war gar nicht teuer, würde sie nur nicht so stinken. Nach Urin oder Fischöl, womit auch immer das Leder bearbeitet worden ist. Ich wollte sie anfangs  zurückschicken, aber ich mochte die Farbe. Himbeerrot ist für mich Sommer, Wärme, Leidenschaft. Ein paar Klamotten für die Reise habe ich hineingeworfen, die Tasche mit in die Bäckerei genommen, und bin einfach abgehauen, als meine Chefin kurz hinten war. Am Hauptbahnhof bin ich in irgendeinen Zug gesprungen, habe mich vor der Schaffnerstimme auf der Toilette versteckt. „Minutenreise“ weiterlesen

Morgen eine Yucca Palme

Es dauert lange, das grüne L zu zertrümmern. Ich dachte, es ginge schnell, ein Wurf auf unseren Linoleumfußboden, ein Tritt auf die beiden hohlen Plastikbalken, und es zerspringt in tausend Stücke, aber es ist hartnäckiger. Hält scheppernd dem Aufprall stand, ignoriert meinen Fuß. Ich nehme den Hammer, schlage auf die grüne Oberfläche. Nachbarsohrenstörend hämmere ich, immer wieder, sekundenlang, minutenlang scheint es mir, bis zum ersten Riss. „Morgen eine Yucca Palme“ weiterlesen

Vergessen

Ich sitze in einer Barke, umhüllt von meiner warmen Decke, treibe im Wasser. Um mich herum Menschen. Von ferne höre ich ihre Stimmen, sehe ihre Gesichter. Sie öffnen und schließen die Münder wie Karpfen. Den haben wir früher immer zu Weihnachten gegessen. Karpfen mit Petersilienkartoffeln, dazu einen Klacks Butter. Der Festtagsgeschmack steigt noch heute auf meine Zunge, wenn ich daran denke. Ich versuche, meine Augen offen zu halten, und blicke in Richtung Karpfengesichter. „Vergessen“ weiterlesen

Kaffee mit Wasser

Wenn ihre Hand vor 30, 40 Jahren unter dem Kinn ruhte, und das tat sie oft in dem Café, dann nur, um dem Gesicht ein Podest zu geben. Der Adlernase, den Bögen über ihren blauen Augen. Heute liegen die Finger über dem Mund der Frau, kaschieren die Risse der Zeit, die ihre grellroten Lippen umrahmen. Die Ellenbogen aufgestützt, sitzt sie in dem Café, starrt ins Leere. Zurück in der Stadt. Daheim. Einige Tische sind besetzt, am Tresen warten Menschen. Ist das noch ihr altes Lokal, ihr zweites Zuhause? „Kaffee mit Wasser“ weiterlesen

Picknick am Stadtstrand

Sie sitzt im Sand, die Knie angezogen, schmale Hände umklammern verblichenen Jeansstoff, ihr Blick folgt den neoprenverhüllten Surfern. Die Septembersonne schleudert ihre Strahlen vom Himmel, als wolle sie das Mittelmeer austrocknen. Drei Stunden und sieben Minuten hat ihr Zug von Valencia hierher gebraucht, das sind 11.220 Sekunden, die die Frau durch schmutzige Scheiben gestarrt hat, gefangen im Gedankenkäfig.

‚Hätte ich ihn wirklich in der Pension zurücklassen sollen? War es richtig, einfach zu gehen?‘

„Picknick am Stadtstrand“ weiterlesen