Kaffee mit Wasser

Wenn ihre Hand vor 30, 40 Jahren unter dem Kinn ruhte, und das tat sie oft in dem Café, dann nur, um dem Gesicht ein Podest zu geben. Der Adlernase, den Bögen über ihren blauen Augen. Heute liegen die Finger über dem Mund der Frau, kaschieren die Risse der Zeit, die ihre grellroten Lippen umrahmen. Die Ellenbogen aufgestützt, sitzt sie in dem Café, starrt ins Leere. Zurück in der Stadt. Daheim. Einige Tische sind besetzt, am Tresen warten Menschen. Ist das noch ihr altes Lokal, ihr zweites Zuhause? Die Espressomaschine faucht. „Zwei Latte bitte“, ruft ein Mann. Ein Bartträger mit Wollmütze schlurft dicht an ihrem Tisch vorbei, einen Pappbecher mit Deckel in der Hand, Jeansstoff streift Spanplatte in Holzoptik. Die Frau mit der Adlernase weicht zurück. Drei Besucherinnen gehen Richtung Nachbartisch, eine von ihnen trägt ein Tablett mit Kaffeegläsern. Handyklingeln. Ab und zu klickt ein Limonadendosen-Verschluss im Stimmengewirr.

Vor 30, 40 Jahren, da hatten Kellner in langärmligen Hemden mit Fliegen den Kaffee serviert. In einer Tasse, auf einem Silbertablett, mit einem Glas Wasser. Wie es sich gehört. Es gab hier keinen Kaffee in Pappbechern, keine Getränke in Dosen, keine Schlange am Tresen. Damals war das Café noch ein besonderer Ort in der Stadt, und dass eine Dame dort seit 25 Minuten sitzt, ohne bedient zu werden, das hatte es nicht gegeben. Ihr Rücken drückt gegen die Plastiklehne. Früher standen Korbstühle an den kleinen, mit weißem Damast verhüllten Tischen. Und jetzt? Eine Spanplatte mit Kaffeerändern und Kuchenkrümeln – was für eine Schande! Sie schüttelt eine Strähne aus dem schwarz gefärbten Haar, verbirgt sie in ihrer Klammer am Hinterkopf. Ruckartig steht sie auf, packt Handtasche, Sonnenbrille und geht. Das Poltern des stürzenden Stuhls kümmert sie nicht. Am Tag der Heimkehr zählen andere Dinge.